Manchmal wird mir schlicht gesagt: „Ich mag deine Fotos.“
Und weil mir der Wissensdurst bis auf die Knochen innewohnt, frage ich dann oft: „Warum?“
Denn ich merke schon, dass viele meiner Fotos gemocht werden, aber was genau macht sie dazu? Die Antwort lautet meist: „Ich weiß nicht, sie wirken einfach.“
Vielleicht habe ich jetzt eine Ahnung, warum das so ist. Und dieses Geheimnis möchte ich mit euch teilen.
Letzte Woche schrieb ich einen Hands-on-Bericht zur Fujifilm X-E2. Ich war mit der Kamera in Mannheim unterwegs und hatte ein paar Bilder mitgebracht, die vermutlich nicht dem typischen Touristen-Standard entsprechen.
Was darauf zu sehen ist? Könnt ihr ja hier nachschauen: Formen und Farben im Wesentlichen. Ich muss zugeben, dass mir die X-E2 viel Spaß gemacht und mich motiviert hat, auszuprobieren.
Folgendes passierte: Ich spazierte die Kurt-Schumacher-Brücke entlang und suchte nach Motiven links und rechts der Brücke. Manchmal blieb ich stehen, schaute hinaus und wartete auf den richtigen Moment. Dann ging ich weiter und sah den Weg entlang. Und schließlich hielt ich inne.
Denn was ich sah waren nurmehr Schatten, Licht und Formen. Und es lag direkt vor mir.
Ich nahm einfach die Kamera hoch, drehte sie etwas und drückte den Auslöser. Ein total schräges Bild, bei dem man im ersten Moment nicht weiß, was man sieht. Ich kenne Leute, die halten jedes Bild für misslungen, das einen schiefen Horizont hat. Und wirklich: wer würde absichtlich so ein Foto machen?
Ich habe es intuitiv geschossen, weil ich etwas vor mir gesehen hatte. Was, wusste ich da aber noch nicht.
Das Foto ist in meinem Kopf haften geblieben. Und als ich ein paar Tage später für ein fotografisches Thema recherchierte, machte ich eine interessante Entdeckung.
Harmonie ist Mathematik
Wenn ihr euch eingängiger mit Fotografie beschäftigt habt, ist euch vielleicht auch der goldene Schnitt begegnet. Dabei handelt es sich einfach ausgedrückt um das Verhältnis von zwei Flächen. Das Besondere ist, dass man diese immer wieder unterteilen kann und das gleiche Verhältnis heraus bekommt. Ich mag das jetzt nicht komplett erklären, aber sehr schön ist das hier beschrieben. Wichtig ist zu wissen, dass es ein wiederkehrendes Muster gibt.
Eine Erweiterung des goldenen Schnitts ist die goldene Spirale (oder auch Fibonacci Spirale). Auch wenn sie auf den ersten Moment verwirrend scheint, macht sie doch einiges noch deutlicher.
Hier seht ihr wieder die Teilung des goldenen Schnitts (ein Hauch anders, aber exakter). Die Fläche rechts ist größer, die links kleiner. Seht euch nur die größere an: durch sie läuft genau ein Viertel eines Kreises. Auf der rechten Seite findet ihr genau dieselbe Fläche. Kleiner, aber im gleichen Seitenverhältnis. Und wieder durch einen Viertelkreis geteilt. Und daran angesetzt, nochmal. Und darin wieder. Und wieder und wieder und wieder.
Ein mathematisches Verhältnis, das in der Natur begründet liegt. Und eines, das wir Menschen als harmonisch empfinden. Die Fibonacci-Spirale entschlüsselt sozusagen das, was wir als angenehm zu sehen empfinden. Und hier liegt auch der Schlüssel für den Fotografen.
Lasst uns das Ding mal spiegeln:
Und jetzt legen wir es über mein Foto von der Brücke:
Jetzt seht ihr, was ich meine.
Fotografie ist (auch) Bildgestaltung
Ich muss gestehen, dass ich etwas verblüfft war, als ich das selbst erkannt hatte. Es bedeutet mehrerlei Sachen. Zum einen ist es eine Erklärung, warum Bilder „einfach wirken“. Zum anderen bringt es mir die Erkenntnis, warum meine Bilder einfach wirken (beileibe nicht alle, ich wollte, es wäre so *g*).
Und euch, die ihr das hier lest und noch nicht selbst über die fotografische Lehre des Bildaufbaus gestolpert seid, gibt es hoffentlich einen nützlichen Schubs in die richtige kreative Richtung.
Ich habe im Laufe der Zeit, der zahllosen verschossenen Filmrollen und der lächerlich vielen Blicke durch den Sucher ein wenig gelernt, harmonisch zu sehen. So, dass ich es oft intuitiv tue. Das beweist, dass man es lernen und anwenden kann. Und das tolle daran ist, es erfordert keine technischen Spielereien, keine Kamera, die besser ist als alle anderen und kein aufwändiges Zubehör. Es braucht nur eure Augen.
Schön erklärt. Ich meine neulich mal etwas gelesen zu haben, dass man durchaus vom GS kräftig in Richtung asymmetrisch abweichen darf, und der Effekt sogar gut funktioniert. Ich weiß leider nicht mehr wo das wahr. Aber grundsätzlich ist der GS die Regel.
:)
Hallo autopict!
In meinen Augen ist „abweichen“ sowieso immer eine gute Taktik. Nichts fördert Kreativität mehr, als von gewohnten Pfaden abzuweichen. Natürlich auch in Richtung asymmetrisch. Denn auch der goldene Schnitt ist ja im Grunde nicht symmetrisch. Es gibt eine zwei-drittel-Teilung, keine fünfzig-fünfzig-Teilung. Den goldenen Schnitt finde ich insofern spannend, dass er klar zeigt und beweist, wo die Muster in der Wahrnehmung der Menschen liegen. Was wir als angenehm empfinden und dass es ein tolles Werkzeug zur Bildgestaltung ist.
Gruß, ml
Du sagst es im letzten Satz, es braucht das fotografische Auge, das kann man schulen, trotzdem denke ich, dass eine gewisse Begabung dafür erforderlich ist, der GS ist dann meist automatisch da, oder gerade nicht, was dann Absicht ist.
Ich mag deine Bilder, weil du den Blick hast!!
lg Marlies
Hallo Marlies!
Lieben Dank dir! Vielleicht hast du recht und man braucht ein gewisses Empfinden, einen Instinkt, um die Dinge richtig zu sehen. Es gibt so viele Möglichkeiten, das Motiv oben zu fotografieren. Die meisten Fotografen neigen dazu, Bildelemente mittig zu platzieren und wer dreht schon so heftig die Kamera, um stürzende Linien zu provozieren. Aber es funktioniert manchmal. Mag sein, dass eben abseits vom geschulten Auge auch der Instinkt wichtig ist.
Danke für dein Kompliment.
Gruß, ml
Ach ja, der Goldene Schnitt ;) … Ab und an sollte ich ihn mir auch wieder bewusst in Erinnerung rufen, mehr mit ihm spielen, parallel zur Intuition, und einfach beobachten, wie sich die Wirkung der Bilder noch verstärken kann oder um schlicht und einfach herauszufinden, warum manches stimmig erscheint, anderes wiederum unvollständig wirkt. Es gibt immer etwas dazuzulernen. Schöner Bericht!
Hallo anette!
Perfekt, genau das hatte ich im Sinn mit meinem Artikel. :)
Heutzutage kann man ja viel schöner experimentieren als vielleicht noch vor einigen Jahren mit analoger Technik. Und es erfordert auch gar nicht viel Aufwand. Die einfachsten Motive eignen sich dazu und man darf gespannt sein, wie sie sich in bestimmten Kompositionen plötzlich zu einem Motiv entfalten.
Danke dir und liebe Grüße, ml
Soviel Fibonacci ist sonst nur an der Börse…
Und dort sorgt er vermutlich eher für Aufregung als für Harmonie! :D
It is not the camera, it is the eye from the photographer, wie jemand mal sagte. Das schöne an der Fotografie ist, unabhängig vom Level, dass man quasi jeden Tag dazu lernen kann, wenn man will, und mit jedem Bild mehr. Anton Corbijn sagte in einer Doku treffend: halte dich nicht an Regeln, sondern probiere alles erst mal selbst aus und lernen daraus.
Deine Erklärung ist sehr gut und griffig. Ja, den Goldenen Schnitt sollte ich mir auch in Erinnerung rufen.
Warum ich Deine Bilder mag? Weil Du einen eigenen Stil hast, der sich erfreulich abhebt und ein Auge für das Wesentliche und den Blick frei machst für andere Perspektiven.
Herzliche Grüße
Stefan
Hallo Stephan!
Du erweiterst meinen Artikel auf treffende Weise. Deine Zusammenfassung ist genau das Fazit, das ich damit ziehen wollte. Oft genug entscheidet eben nicht die reine Technik über ein gelungenes Foto. Große Namen der Fotografie beweisen das seit über 100 Jahren. Und auch wenn der GS oder die Spirale eine fotografische Regel sein mögen, plädiere ich auch unbedingt dafür, diese zu brechen und neue Wege zu suchen.
Vielen Dank auch für deine Antwort auf meine einleitende Frage. Das bedeutet mir viel und gibt mir weiter Klarheit.
Liebe Grüße und alles Gute, ml
So wie ich das sehe ist die Fibonacci Spirale in Allem. Allem, was wir sehen, was Kameras aufnehmen, jedes Bild, jedes Objekt. Man muss nur lange, bzw. intensiv genug schauen.